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DER STANDARD

Das Ensemble für unpopuläre  Freizeitgestaltung inszeniert in Dornbirn Wolfram Lotz

 

JULIA NEHMIZ
 

22. Februar 2019, 17:37

Im klugen Spiel mit theatralen Möglichkeiten setzt das Ensemble Unpop das Publikum auf die Hinterbühne.

Was ist Theater? Was ist Wirklichkeit? Wer sind wir? Wolfram Lotz' mehrfach preisgekröntes Debüt "Der große Marsch" im Vorarlberg

Applaus, Gute­Laune­Jingle, Spot an! Ein gebeugter Mann steuert seinen Elektrorollstuhl auf die Bühne, umfährt die bodenlangen silbernen Glitzerstreifen, die vom Bühnenhimmel hängen. Der Lyriker Felix Leu werde ein Gedicht rezitieren, kündigt die Moderatorin an, ach ja, er leide an amyotropher Lateralsklerose. Leu drückt sich eine elektronische Sprechhilfe an den Hals und schnarrt los, monoton ablesend vom dicken Papierstapel, und es hört nicht mehr auf. Felix Leu (wunderbar stoisch: Jens Ole Schmieder) schnarrt und schnarrt, sein Atem knarzt "huuu­huuu", immer verkrampfter schnappt er nach Luft. Das ist böse, grandios überzogen, absurd komisch – alles nur Theater!

In dieser Szene schält Regisseur Stephan Kasimir exemplarisch heraus, was Wolfram Lotz in seinem mehrfach preisgekrönten Debüt Der große Marsch (2011 uraufgeführt) verhandelt: Was ist Theater, was ist Wirklichkeit, wer sind wir? Der 38­Jährige ist derzeit einer der am meisten gespielten Autoren des deutschsprachigen Theaters. Man kann das Stück auch als große Parodie, als Abrechnung mit dem modernen Regietheaterbetrieb lesen. Doch Lotz hat mehr hineingepackt.

Als Zuschauer im Spiegelkabinett

Dem Ensemble für unpopuläre Freizeitgestaltung – kurz: Unpop – gelingt in der Regie von Stephan Kasimir im Dornbirner Kulturhaus ein kluger Zugriff. Kasimir und seine Ausstatterin Caro Stark haben Unpop 2016 gegründet und es als wichtige Stimme in der Vorarlberger freien Szene etabliert. Unpop will ein junges Publikum aus den Clubs ins Theater bringen.

Autor Lotz spielt mit theatralen Möglichkeiten. Als Zuschauer fühlt man sich wie in einem Spiegelkabinett: Was ist schon echt an den fiktiven Charakteren auf der Bühne? In Der große Marsch treten Bankchef Josef Ackermann und "echte Sozialhilfeempfänger" auf. Oder die Mutter des Autors (herrlich resolut: Elisabeth Pedross), Revoluzzer Bakunin und Prometheus.

Kraft der Dialoge

Kasimir und Stark entschlacken Lotz' Vorlage von allen unmöglichen Regieanweisungen, konzentrieren sich ganz auf die Kraft der Dialoge – nehmen so aber ein wenig Witz und Absurdität aus dem Abend. Die Bühne: ein billig glitzerndes Universum aus schnürbodenhohen Alufolienstreifen, die im Luftzug sacht rascheln. Eine Moderatorin (Christina Scherrer) führt durch diesen Reigen der Pseudowirklichkeiten, drängt wie in einer schlechten TV­Talkshow die Gäste ins Klischee und auf die Bühne.

Es endet in Desillusionierung – und mit einem starken Bild. Die Bühne: leer. Dann fährt der blaue Horizont nach oben, öffnet den Blick in den eigentlichen Zuschauerraum des Dornbirner Kulturhauses – und es wird jedem klar: Wir sitzen auf der Hinterbühne, vor der Brandmauer – wir sind die Fiktion des Abends. Wir sind gar nicht das Publikum. Was für eine Wirklichkeit! (Julia Nehmiz, 23.2.2019)

Kulturhaus Dornbirn, bis 28. Februar Ensemble für unpopuläre Freizeitgestaltung

© STANDARD Verlagsgesellschaft m.b.H. 2019

KULTURZEITSCHRIFT

Theater
22.02.2019 | Dagmar Ullmann-Bautz

Grotesk schräge Theatershow – UNPOP mit „Der große Marsch“ von Wolfram Lotz

Ist ein unmögliches Theater möglich? Laut Autor Wolfram Lotz: „Ja.“ - Und man sollte ihm das glauben, auch wenn es keinen Grund dafür gibt. Wolfram Lotz, 1981 in Hamburg geboren und im Schwarzwald aufgewachsen, gewann mit seinem ersten Stück „Der große Marsch“ den Kleistförderpreis sowie den Publikumspreis des Berliner Stückemarktes und wurde zum „Nachwuchsdramatiker des Jahres“ gekürt. Nachdem das Ensemble für unpopuläre Freizeitgestaltung, kurz UNPOP, mit den Stücken „Die lächerliche Finsternis“ und „Einige Nachrichten aus dem All“, beide von Wolfram Lotz, große Erfolge feiern konnten, bringen die jungen Theatermacher nun auch sein Stück „Der große Marsch“ zur Aufführung. Die bejubelte Premiere fand gestern auf der Hinterbühne des Dornbirner Kulturhauses statt.

Besonderer Humor

Unter dem Motto „Je schräger umso besser!“ lieferten die Theatermacher Stephan Kasimir (Regie) und Caro Stark (Ausstattung) mit „Der große Marsch“ ein weiteres Mal den Beweis, dass das Duo mit außergewöhnlichen Texten ganz wunderbar umgehen kann. Und, dass ihr Humor, von dem sie eine ganze Menge haben, ein besonderer ist!
Gespielt von einem spannenden Schauspielensemble, beschert „Der große Marsch“, einen Theaterabend, der entwirrt werden will wie ein buntes Weihnachtsbeleuchtungsbündel und doch als Ganzes nicht fassbar und tatsächlich ein großer Marsch voller Überraschungen bleibt.

Glanz und Glitter

Niemals wird es langweilig, ständig ist man aufs Neue gefordert, man erlebt großartige SchauspielerInnen, hört tolle Musik, wird von Glanz und Glitter fast geblendet. „Der große Marsch“ gerät zur Theatershow, zur Revue, moderiert von einer fantastischen Christina Scherrer, die vom Anfang bis zum Ende alle Register menschlicher Emotionen zieht. Eine Show, die absolut verrückt ist, wahnsinnig unterhaltsam, manchmal voll peinlich, immer hart an der Grenze, berührend, aufwühlend, anregend und vieles mehr.

Was das Stück nicht tut, es erzählt keine große Story und dennoch viele kleine und kleinste Geschichten, wie die von Patrick S., der seine Schwester liebt, mit ihr Kinder hat und dafür im Gefängnis war oder die Geschichte über den Autor selbst, der sich mit aller Energie am Theater abarbeitet. Beide Figuren wurden von Anwar Kashlan gespielt, großartig und ergreifend.

Schlange und Meerjungfrau

Der achtjährige Taiyo Marquez Suitner eröffnet den Theaterabend mit seinem Prolog und dies bemerkenswert souverän. Jens Ole Schmieder als Josef Ackermann amüsiert köstlich, bewegt auch als in den Rollstuhl gefesselter Lyriker. Maria Fliri beweist ihre enorme Vielseitigkeit und Verwandlungskunst nicht zum ersten Mal. Auch der Regisseur wurde vom Autor ins Stück geschrieben und so darf sich

https://www.kulturzeitschrift.at/kritiken/theater/grotesk-schraege-theatershow-unpop-mit-der-grosse-marsch-von-wolfram-lotz?fbclid=IwAR2DjT56K9eNI1hZY7w9GSzy_hinACQ_7QrulZMJ_rd0JJtxr2JlHGpKVpY 1/6

2.5.2019 Grotesk schräge Theatershow – UNPOP mit „Der große Marsch“ von Wolfram Lotz — Zeitschrift fur Kultur und Gesellschaft

Luis Lüps an dieser Herausforderung abarbeiten und überzeugt auch als verzweifelter Prometheus auf der ganzen Linie. Auch die Figur der Mutter des Stückeautors darf in diesem Wahnsinnsreigen nicht fehlen, super gespielt von Helga Pedross, deren akustische Darstellung der Schlange, die vom Theaterhimmel herunterzüngelt, ein weiteres Highlight war. Und Robert Kahrs singende Meerjungfrau wird man wohl kaum so schnell vergessen!

Kostüm- und Maskenschlacht

Man darf den SchauspielerInnen nicht nur für ihre Darstellungen auf der Bühne gratulieren, sondern auch für die zu bewältigende Kostüm- und Maskenschlacht dahinter. Dass vorne das glitzernde Bühnenbild von Caro Stark so richtig erstrahlte und zur Geltung kam, dafür sorgte Andreas „Phoenix“ Hofer großartig mit seinen gekonnt eingesetzten Lichtspielen.
Das Publikum bejubelte die Premiere ausgiebig, diskutierte schon beim Rausgehen und noch lange danach.

Weitere Vorstellungen:

23./24./26./27./28.2., jeweils um 20 Uhr Kulturhaus Dornbirn

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